Das Arbeitsverhältnis des abberufenen Geschäftsführers

Für die Klage eines (Fremd-)Geschäftsführers gegen seine Abberufung durch die GmbH-Gesellschaft kann der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet sein:

Das Arbeitsverhältnis des abberufenen Geschäftsführers

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a und Buchst. b ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis und über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses. Wer Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes ist, bestimmt § 5 ArbGG.

Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind Arbeitnehmer Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. In Betrieben einer juristischen Person oder einer Personengesamtheit gelten jedoch nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG Personen nicht als Arbeitnehmer, die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrags allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person oder der Personengesamtheit berufen sind. Für einen Rechtsstreit zwischen dem Vertretungsorgan und der juristischen Person sind nach dieser gesetzlichen Fiktion die Gerichte für Arbeitssachen nicht zuständig.

Die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG greift unabhängig davon ein, ob das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis materiell-rechtlich als freies Dienstverhältnis oder als Arbeitsverhältnis ausgestaltet ist. Sie soll sicherstellen, dass die Mitglieder der Vertretungsorgane mit der juristischen Person keinen Rechtsstreit im „Arbeitgeberlager“ vor dem Arbeitsgericht führen[1]. Auch wenn ein Anstellungsverhältnis zwischen der juristischen Person und dem Mitglied des Vertretungsorgans wegen dessen starker interner Weisungsabhängigkeit als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist und deshalb materielles Arbeitsrecht zur Anwendung kommt, sind zur Entscheidung eines Rechtsstreits aus dieser Rechtsbeziehung die ordentlichen Gerichte berufen, solange die Fiktion Wirkung entfaltet[2].

Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten im hier entschiedenen Fall zulässig:

Die Klage enthält ausschließlich Klageanträge, die nur dann begründet sein können, wenn das Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis einzuordnen ist und nach wirksamer Beendigung der Organstellung als solches fortbestand oder wieder auflebte. In diesen Fällen (sic-non-Fälle) eröffnet bei streitiger Tatsachengrundlage die bloße Rechtsansicht der Klagepartei, es handele sich um ein Arbeitsverhältnis, den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten[3]. Mit seinen Feststellungsanträgen macht der Geschäftsführer den Fortbestand eines seiner Auffassung nach bestehenden Arbeitsverhältnisses geltend. Mit seinem unechten Hilfsantrag begehrt er für den Fall des Obsiegens mit seinem Feststellungsantrag die vorläufige Weiterbeschäftigung in diesem Arbeitsverhältnis. Gleiches gilt für die Klageanträge auf ein qualifiziertes Zwischenzeugnis über Art und Dauer sowie Führung und Leistung „im Arbeitsverhältnis“ bzw. ein entsprechendes Endzeugnis.

Nach der Beendigung der Organstellung und damit nach dem Wegfall der Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen berufen, über diese arbeitsrechtlichen Streitgegenstände zu entscheiden.

Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts müssen die Voraussetzungen für das Eingreifen der Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG im Zeitpunkt der Zustellung der Klage vorliegen. Ist ein Geschäftsführer zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirksam abberufen, ist und bleibt für die Klage der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten und nicht zu den Arbeitsgerichten zulässig[4]. Hieran hält das Bundesarbeitsgericht nicht weiter fest. Nachträgliche zuständigkeitsbegründende Umstände sind vielmehr auch dann zu berücksichtigen, wenn ein zum Zeitpunkt der Klageerhebung vor dem Arbeitsgericht noch nicht abberufener Geschäftsführer vor einer rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtswegzuständigkeit abberufen wird. Damit entfällt die Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG.

Nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen richtet sich die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs zunächst nach den tatsächlichen Umständen zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit[5]. Nachträgliche Veränderungen führen grundsätzlich nicht zum Verlust des einmal gegebenen Rechtswegs. Dieser in § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG enthaltene Grundsatz der perpetuatio fori gilt jedoch nur rechtswegerhaltend. Alle bis zur letzten Tatsachenverhandlung eintretenden Umstände, welche die zunächst bestehende Unzulässigkeit des Rechtswegs beseitigen, sind dagegen zu berücksichtigen, sofern nicht vorher ein (rechtskräftiger) Verweisungsbeschluss ergeht[6]. Wird vorab gemäß § 17a Abs. 3 GVG über die Rechtswegzuständigkeit entschieden, sind spätere zuständigkeitsbegründende Veränderungen auch im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nach § 17a Abs. 4 GVG zu berücksichtigen, wenn sie dort zulässigerweise eingeführt werden können[7]. Dies dient vor allem der Prozessökonomie[8] und soll vermeiden, dass ein Rechtsstreit verwiesen wird, auch wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs die Zuständigkeit des entscheidenden Gerichts begründet ist. Die veränderten zuständigkeitsrelevanten Umstände können damit dazu führen, dass ein ursprünglich begründeter Verweisungsantrag unbegründet wird[9].

Soweit das Bundesarbeitsgericht die Auffassung vertreten hat, es komme für das Eingreifen der Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ausschließlich auf die Umstände zum Zeitpunkt der Klageerhebung an[10], wird hieran nicht festgehalten[11]. Zwar ist dieser Zeitpunkt zunächst entscheidend für die Bestimmung des zuständigen Gerichts und geeignet, rechtssicher festzustellen, ob § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG der Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen entgegensteht. Eine Durchbrechung der allgemeinen Grundsätze über die Berücksichtigung zuständigkeitsbegründender Umstände rechtfertigt dies jedoch nicht und eine solche gibt § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG auch nicht vor. Die Abberufung als Geschäftsführer lässt sich auch zu jedem späteren Zeitpunkt sicher feststellen. Das ausschließliche Abstellen auf den Zeitpunkt der Klageerhebung eröffnet dagegen die Möglichkeit einer Manipulation. Käme es allein auf diesen Zeitpunkt an, hätten es die Gesellschafter nach einer Kündigung in der Hand, durch ein Hinausschieben der Abberufungsentscheidung eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte auch in den Fällen auszuschließen, in denen unzweifelhaft ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Der Kläger hat nämlich in einem solchen Fall gemäß § 4 Satz 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage zu erheben, um den Eintritt der Fiktionswirkung des § 7 KSchG zu verhindern. Die nachträgliche Berücksichtigung von Umständen, welche die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs erst begründen, verhindert im Übrigen bei mehreren nacheinander erklärten Kündigungen regelmäßig auch eine Aufspaltung der Zuständigkeit in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Abberufung des Geschäftsführers.

Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen zulässig. Zum Zeitpunkt der Zustellung der Klage am 15.10.2013 war der Kläger nicht mehr Geschäftsführer der Beklagten, sondern durch diese bereits abberufen.

Der Widerruf der Bestellung als Geschäftsführer muss durch die Gesellschafter erfolgen und dem Geschäftsführer gegenüber erklärt werden. Mit Zugang der entsprechenden Erklärung wird der Widerruf wirksam. Dieser bedarf keiner besonderen Form[12]. Die Tatsache der Abberufung ist zwar gemäß § 39 Abs. 1 GmbHG zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden, die Eintragung wirkt jedoch nur deklaratorisch. Die fehlende Eintragung beeinträchtigt deshalb die Wirksamkeit der dem Geschäftsführer gegenüber erklärten Abberufung nicht[13].

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts und dem beiderseitigen Vortrag ist die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer durch Beschluss vom 16.09.2013 erfolgt. Dieser Beschluss wurde dem Kläger noch am 16.09.2013 per E-Mail mitgeteilt. Die Eintragung in das Handelsregister erfolgte – ohne dass es hierauf wegen deren rein deklaratorischer Wirkung ankäme – am 14.10.2013 und damit am Tag vor der Klagezustellung, die am 15.10.2013 erfolgte. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist es unerheblich, dass die Abberufung zeitgleich bzw. nahezu zeitgleich mit dem Ausspruch der Kündigung „in einem Akt“ erfolgte. Dies ändert nichts daran, dass nach Abberufung als Geschäftsführer die Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht mehr greifen kann.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 22. Oktober 2014 – 10 AZB 46/14

  1. BAG 20.08.2003 – 5 AZB 79/02, zu B I 3 der Gründe, BAGE 107, 165[]
  2. BAG 23.08.2011 – 10 AZB 51/10, Rn. 12 mwN, BAGE 139, 63[]
  3. BAG 15.11.2013 – 10 AZB 28/13, Rn. 21 mwN[]
  4. BAG 15.11.2013 – 10 AZB 28/13, Rn. 23 mwN[]
  5. MünchKomm-ZPO/Zimmermann 4. Aufl. § 17a GVG Rn. 8; Kissel/Mayer GVG 7. Aufl. § 17 Rn. 9 f.[]
  6. Kissel NJW 1991, 945, 948 ff.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann 72. Aufl. § 17 GVG Rn. 3, § 261 ZPO Rn. 31; MünchKomm-ZPO/Zimmermann § 17 GVG Rn. 6; Musielak/Wittschier 11. Aufl. § 17 GVG Rn. 4; Prütting/Gehrlein/Bitz 5. Aufl. § 17 GVG Rn. 7; Stein/Jonas/Jacobs 22. Aufl. § 17 GVG Rn. 12; Thomas/Putzo/Hüßtege 35. Aufl. § 17 GVG Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Schreiber 3. Aufl. § 17 GVG Rn. 4; Zöller/Lückemann 30. Aufl. § 17 GVG Rn. 2[]
  7. BGH 18.05.1995 – I ZB 22/94, zu II 3 a der Gründe, BGHZ 130, 13; Zöller/Lückemann aaO[]
  8. Kissel NJW 1991, 945, 948; Wieczorek/Schütze/Schreiber aaO; Zöller/Lückemann aaO[]
  9. MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard § 261 Rn. 80; zur Möglichkeit der Erledigungserklärung in einem solchen Fall: BGH 11.01.2001 – V ZB 40/99[]
  10. vgl. BAG 15.11.2013 – 10 AZB 28/13, Rn. 23; 26.10.2012 – 10 AZB 55/12, Rn. 23[]
  11. kritisch auch Pröpper GmbHR 2013, 255 ff.[]
  12. Roth/Altmeppen/Altmeppen GmbHG 7. Aufl. § 38 Rn. 22[]
  13. Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack GmbHG 20. Aufl. § 39 Rn. 24; Henssler/Strohn/Oetker 2. Aufl. GmbHG § 39 Rn. 16; Roth/Altmeppen/Altmeppen § 38 Rn. 23; § 39 Rn. 5[]