Lösungsrechte bei verzögerter Kapitalerhöhung

Dem Inferenten steht ohne Vereinbarung einer Befristung oder Bedingung ein Lösungsrecht von dem Übernahmevertrag nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu, wenn der angemessene Zeitraum für eine Bindung des Übernehmers überschritten wird oder es aus anderen Gründen nicht zur Kapitalerhöhung kommt. Rechtsfolge ist ein Rücktrittsrecht des Übernehmers nach § 313 Abs. 3 Satz 1 BGB. Die Gesellschaft trifft eine (Treue)Pflicht, für eine zügige und ordnungsgemäße Durchführung der Kapitalerhöhung zu sorgen, jedenfalls dann, wenn sie sich im Übernahmevertrag unter Mitwirkung aller Gesellschafter und Geschäftsführer ausdrücklich zur Durchführung der Kapitalerhöhung verpflichtet.

Lösungsrechte bei verzögerter Kapitalerhöhung

Lösungsrecht des Übernehmers[↑]

Der Inferent ist nicht bereits durch den Übernahmevertrag Gesellschafter geworden und hat keine gesellschaftergleiche Stellung etwa durch ein Anwartschaftsrecht erworben. Ein Übernahmevertrag verpflichtet in erster Linie den durch Gesellschafterbeschluss gemäß § 55 Abs. 2 GmbHG zugelassenen Übernehmer zur Erbringung der vorgesehenen Einlage. Es handelt sich nicht um einen Austauschvertrag, sondern um einen Vertrag mit körperschaftlichem Charakter, weil das von dem Übernehmer erstrebte Mitgliedschaftsrecht nicht von der Gesellschaft „geliefert“ wird, sondern auf der Grundlage des (satzungsändernden) Kapitalerhöhungsbeschlusses und des Übernahmevertrages kraft Gesetzes mit der Eintragung im Handelsregister entsteht (vgl. § 54 Abs. 3, § 57 GmbHG). Bis dahin steht nicht nur der Erwerb der Mitgliedschaft, sondern auch der Übernahmevertrag unter dem Vorbehalt des Wirksamwerdens der Kapitalerhöhung durch die Eintragung[1]. Der Übernehmer hat vor der Eintragung keine mitgliedschaftlichen Rechte und auch keinen Anspruch darauf, bei einer Verzögerung oder Vereitelung der Kapitalerhöhung so gestellt zu werden, als sei er Gesellschafter.

Aufgrund des erklärten Rücktritts kommt ein Rückgewähranspruch aus § 346 BGB i.V.m. § 313 Abs. 3 Satz 1 BGB des Inferenten in Frage. Dem Inferenten steht ohne Vereinbarung einer Befristung oder Bedingung[2] ein Lösungsrecht von dem Übernahmevertrag nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu, wenn der angemessene Zeitraum für eine Bindung des Übernehmers überschritten wird oder es aus anderen Gründen nicht zur Kapitalerhöhung kommt[3]. Die Verpflichtung des Übernehmers zur Einlageleistung entsteht mit Abschluss des Übernahmevertrages und nicht erst mit Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses[4]. Zwar wird die Kapitalerhöhung, die das neue Mitgliedschaftsrecht schafft, erst nach Eintragung wirksam[1]. Die Verpflichtung des Übernehmers zur Einlageleistung muss aber schon davor wirksam werden, weil die Einlageleistung erst die Voraussetzung für die Eintragung schafft[5]. Eine Sacheinlage muss vor Eintragung bewirkt sein (§ 57 Abs. 2 Satz 1 GmbHG). Da die Verpflichtung zur Einlageleistung schuldrechtliche Elemente enthält, bestehen insoweit gegen die Anwendung schuldrechtlicher Vorschriften keine Bedenken, soweit die körperschaftsrechtlichen Besonderheiten berücksichtigt werden. Scheitert die Kapitalerhöhung oder verstreicht die angemessene Bindungsfrist, haben sich die bei Abschluss des Übernahmevertrags für die Einlageleistung zugrunde gelegten Umstände geändert, so dass insoweit die Vorschriften über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) zur Anwendung gelangen. Rechtsfolge ist ein Rücktrittsrecht des Übernehmers, § 313 Abs. 3 Satz 1 BGB, das an die Stelle der früher von der Rechtsprechung[6] entwickelten Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht getreten ist[7].

Schadensersatzanspruch des Übernehmers[↑]

Aus dem Übernahmevertrag zwischen dem Inferenten und der GmbH folgt eine Pflicht der Gesellschaft, die Eintragung der Kapitalerhöhung zu fördern, deren Verletzung zu Schadensersatzansprüchen führt, § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Bundesgerichtshof hat bisher offen gelassen, ob eine (Treue)Pflicht der Gesellschaft besteht, für eine zügige und ordnungsgemäße Durchführung der Kapitalerhöhung zu sorgen[8]. Im Schrifttum wird eine solche Pflicht, begrenzt jedenfalls auf den Ersatz des negativen Interesses, bejaht[9].

Jedenfalls im vorliegenden Fall besteht eine solche Verpflichtung. Zwar sind die Gesellschafter regelmäßig frei, einen im Zuge der Übernahme bereits gefassten Kapitalerhöhungsbeschluss aufzuheben, so dass kein Erfüllungsanspruch des Übernehmers gegen die Gesellschaft auf Durchführung der Kapitalerhöhung besteht[1]. Das schließt es aber nicht aus, dass die Gesellschaft, solange die Gesellschafter einen bereits gefassten Kapitalerhöhungsbeschluss nicht aufheben, aus dem Übernahmevertrag verpflichtet ist, für die Durchführung des Erhöhungsbeschlusses zu sorgen. Erst recht trifft sie eine solche Pflicht, wenn sie sich wie hier ausdrücklich zur Durchführung der Kapitalerhöhung verpflichtet. Im Übernahmevertrag ist unter II. 10. unter Mitwirkung aller Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH ausdrücklich vereinbart, dass die GmbH sich gegenüber den Übernehmern verpflichtet, die Kapitalerhöhung durchzuführen.

Der Übernehmer kann als Ersatz des negativen Interesses verlangen, so gestellt zu werden, wie wenn er nicht auf die Gültigkeit des Vertrages zur Übernahme der Kapitalerhöhung vertraut hätte und diesen Vertrag nicht abgeschlossen hätte. Bis zur Eintragung steht nicht nur der Erwerb der Mitgliedschaft, sondern auch der Übernahmevertrag unter dem Vorbehalt des Wirksamwerdens der Kapitalerhöhung durch die Eintragung[1]. Da infolge der – unterstellten – Pflichtverletzung der GmbH der Übernahmevertrag insoweit nicht wirksam wurde, kann der Übernehmer, auch soweit er wegen der Möglichkeit der Gesellschafter, den Kapitalerhöhungsbeschluss aufzuheben, keinen Erfüllungsanspruch hat[10], verlangen so gestellt zu werden, wie wenn er die im Übernahmevertrag übernommene Einlageverpflichtung nicht eingegangen wäre und nicht erbracht hätte. Der Inferent leistet die Einlage im Vertrauen darauf, dass Übernahmevertrag und Kapitalerhöhung durch Eintragung wirksam werden. Dass solche „Aufwendungen“ zeitlich vor der Pflichtverletzung erbracht worden sind, schließt den Haftungszusammenhang und damit die Ersatzverpflichtung nicht aus.

Dass im BGH, Urteil zur gescheiterten Kapitalerhöhung[1] der Gewinn aus dem Geschäftsanteil an der GmbH als dem positiven Interesse unterfallend angesehen wurde, steht dem nicht entgegen, weil es sich dort um eine Barkapitalerhöhung handelte, die ohne einen Geschäftsanteil keinen Gewinnanspruch begründete. Der Übernehmer erhält hier aber als Schadensersatz nicht den entgangenen Gewinn aus dem infolge des Scheiterns der Kapitalerhöhung nicht erworbenen Geschäftsanteil, sondern aus der eingebrachten stillen Gesellschaftsbeteiligung.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 3. November 2015 – II ZR 13/14

  1. BGH, Urteil vom 11.01.1999 – II ZR 170/98, BGHZ 140, 258, 260[][][][][]
  2. vgl. dazu BGH, Urteil vom 11.01.1999 – II ZR 170/98, BGHZ 140, 258, 261[]
  3. Scholz/Priester, GmbHG, 11. Aufl., § 55 Rn. 98; Fastrich/Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl., § 55 Rn. 37; Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl., § 55 Rn. 38; Münch- KommGmbHG/Lieder, § 55 Rn. 133; im Ergebnis auch Ulmer/Ulmer, GmbHG, § 55 Rn. 73 f.[]
  4. BGH, Urteil vom 11.01.1999 – II ZR 170/98, BGHZ 140, 258, 261[]
  5. vgl. KG, GmbHR 1984, 124[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 25.10.1989 – VIII ZR 105/88, BGHZ 109, 139, 144[]
  7. Staudinger/Kaiser, Bearbeitung 2012, § 346 BGB Rn. 21[]
  8. BGH, Urteil vom 11.01.1999 – II ZR 170/98, BGHZ 140, 258, 260 und 262[]
  9. Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl., § 55 Rn. 38; MünchKomm- GmbHG/Lieder, § 55 Rn. 62; Scholz/Priester, GmbHG, 10. Aufl., § 55 Rn. 100; Ulmer/Ulmer, GmbHG, § 55 Rn. 80; aA wohl Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl., § 55 Rn. 39[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 11.01.1999 – II ZR 170/98, BGHZ 140, 258, 260[]