Quarantäne in Corona-Zeiten – und der Erstattungsanspruchs von Arbeitgebern nach dem Infektionsschutzgesetz

Arbeitgeber können vom Staat keine Erstattung von Zahlungen verlangen, die sie an ihre Arbeitnehmer für einen Zeitraum geleistet haben, in dem diese sich wegen des Verdachts der Ansteckung mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in häuslicher Quarantäne befanden, wenn den Arbeitnehmern ein Anspruch auf Weiterzahlung ihres Arbeitsentgelts zustand.

Ein solcher Weiterzahlungsanspruch konnte sich aus § 616 Satz 1 BGB ergeben, wenn der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit an der Arbeitsleistung gehindert war; dies war im Frühsommer 2020 bei einer Quarantänedauer von bis zu 14 vollen Tagen der Fall.

In den beiden hier vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschiedenen Fällen hatten zwei Unternehmen geklagt, die im Rahmen von Werkverträgen für Unternehmen der Fleischverarbeitung tätig wurden und im Jahr 2020 von diesen u.a. mit Zerlegungsarbeiten beauftragt worden waren. Im Mai und Juni 2020 wurde an zwei Standorten, an denen die Arbeitnehmer der Unternehmerinnen eingesetzt waren, festgestellt, dass eine Vielzahl von Beschäftigten mit dem Coronavirus infiziert war. Als Reaktion hierauf ergingen gegenüber den Arbeitnehmern der Unternehmerinnen Anordnungen, sich in häusliche Quarantäne abzusondern. Für die Dauer der Absonderungen leisteten die Unternehmerinnen unter anderem an zwei Arbeitnehmer, deren Absonderungen den vorliegenden Verfahren zugrunde liegen, Zahlungen in Höhe des vereinbarten Arbeitsentgelts und führten Sozialversicherungsbeiträge ab. Anschließend beantragten sie beim beklagten Land die Erstattung der gezahlten Beträge nach § 56 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). § 56 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG in der damals maßgeblichen Fassung sah vor, dass unter anderem Personen, die aufgrundlage des Infektionsschutzgesetzes als Ansteckungsverdächtige abgesondert wurden und dadurch einen Verdienstausfall erlitten, eine Entschädigung erhielten. Diese hatte der Arbeitgeber auszuzahlen, dem sie dann von Behördenseite erstattet wurde (§ 56 Abs. 5 IfSG).

Die Erstattungsanträge der Unternehmerinnen wurden von der zuständigen Behörde abgelehnt. 

Die hiergegen erhobenen Klagen waren in erster Instanz vor den Verwaltungsgerichten Minden und Münster erfolgreich[1]. Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die beiden Klagen abgewiesen[2]. Die betroffenen Arbeitnehmer hätten, so das Oberverwaltungsgericht, durch die Absonderung keinen Verdienstausfall erlitten, der für den Entschädigungsanspruch erforderlich sei. Die Unternehmerinnen seien nach § 616 Satz 1 BGB verpflichtet gewesen, ihren Arbeitnehmern für die Zeit der Absonderung – im ersten Verfahren[3] fünf Wochen, im zweiten Verfahren[4] 14 Tage – die im Arbeitsvertrag vereinbarte Vergütung weiterzuzahlen, weil sie für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in ihrer Person liegenden Grund ohne ihr Verschulden an der Dienstleistung verhindert gewesen seien.

Im Fall der fünfwöchigen Quarantäne[3] hat das Bundesverwaltungsgericht auf die Revision der Unternehmerin das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht in Münster zurückverwiesen. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalles sei regelmäßig eine bis zu sechs Wochen dauernde Absonderung eines Ansteckungsverdächtigen jedenfalls dann als verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit i. S. v. § 616 Satz 1 BGB zu qualifizieren, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Absonderung in einem unbefristeten, ungekündigten Arbeitsverhältnis außerhalb der Probezeit steht, ist nicht mit Bundesrecht vereinbar. Welche Zeit der Verhinderung verhältnismäßig nicht erheblich i. S. d. § 616 Satz 1 BGB ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Hier kommt es insbesondere auf die Eigenart der Verhinderung an. Danach war im Fall einer infektionsschutzrechtlichen Absonderungsverfügung wegen des Verdachts der Ansteckung mit SARS-CoV-2 im Frühsommer 2020 eine an der maximalen Inkubationszeit orientierte Absonderungsdauer von 14 vollen Tagen eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit i. S. d. § 616 Satz 1 BGB. Die fünfwöchige Quarantänedauer des Arbeitnehmers im Verfahren 3 C 7.23 schloss demzufolge einen Weiterzahlungsanspruch nach § 616 Satz 1 BGB aus. Ob der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Weiterzahlung nach § 326 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 BGB hatte, weil die Unternehmerin für die Umstände, die den Ansteckungsverdacht und die daraus folgende Arbeitsverhinderung begründeten, allein oder weit überwiegend verantwortlich war, konnte der Senat mangels tatsächlicher Feststellungen nicht entscheiden; die Sache war damit an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

Im zweiten Verfahren[4] hat das Bundesverwaltungsgericht demgegenüber die Revision der Unternehmerin zurückgewiesen, weil das Oberverwaltungsgericht angesichts der Quarantänedauer von 14 vollen Tagen im Ergebnis zu Recht angenommen hatte, dass dem Arbeitnehmer ein Weiterzahlungsanspruch gegen die Unternehmerin nach § 616 Satz 1 BGB zustand, sodass der Arbeitgeber eine Erstattung nicht verlangen kann.

Bundesverwaltungsgericht, Urtiele vom 5. Dezember 2024 – 3 C 7.23 und 3 C 8.23

  1. VG Minden, Urteil vom 26.01.2022 – VG 7a K 424/21; VG Münster, Urteil vom 19.05.2022 – VG 5a K 854/21[]
  2. OVG NRW, Urteile vom 10.03.2023 – OVG 18 A 563/22 und OVG 18 A 1460/22[]
  3. BVerwG – 3 C 7.23[][]
  4. BVerwG – 3 C 8.23[][]