Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge – und ihre Auslegung

Die in Unternehmensverträgen im Sinn des § 291 AktG enthaltenen körperschaftsrechtlichen Bestimmungen sind wie solche in Satzungen objektiv auszulegen[1].

Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge – und ihre Auslegung

Die Auslegung hat deshalb einheitlich und gleichmäßig allein anhand des Vertrags zu erfolgen. Wortlaut, Sinn und Zweck der Regelung kommt dabei ebenso maßgebende Bedeutung zu wie dem systematischen Bezug der auszulegenden zu anderen Vertragsbestimmungen.

Umstände, für die sich keine ausreichenden Anhaltspunkte in dem Vertrag finden, können zur Auslegung grundsätzlich nicht herangezogen werden. Das gilt insbesondere für die Entstehungsgeschichte des Vertrags, Vorentwürfe und Äußerungen sowie die Vorstellungen von Personen, die den Vertrag mit geschaffen und an seiner Abfassung mitgewirkt haben[2].

Die Auslegung einer unternehmensvertraglichen Bestimmung mit körperschaftsrechtlichem Charakter kann in der Revisionsinstanz selbständig, das heißt ohne Bindung an die Auslegung in der Vorinstanz vorgenommen werden[3].

Nichts anderes gilt für körperschaftsrechtliche Bestimmungen in Vereinbarungen, mit denen ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit einer GmbH als Untergesellschaft aufgehoben wird. Mit der Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags ist ein Eingriff in die Organisationsstruktur der Gesellschaft verbunden. Ebenso wie der Abschluss eines solchen Unternehmensvertrags keinen rein schuldrechtlichen Charakter hat, sondern als gesellschaftsrechtlicher Organisationsvertrag den rechtlichen Status der Untergesellschaft ändert[4], hat auch die Aufhebung nicht nur schuldrechtliche Wirkung und unterliegt daher grundsätzlich denselben Regeln[5].

Bei Aufhebung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags kann die eigenständige Lebensfähigkeit der Untergesellschaft wegen der vorherigen Ausrichtung auf das Konzerninteresse zweifelhaft erscheinen, weil die Obergesellschaft jetzt nicht mehr zum Verlustausgleich nach § 302 AktG verpflichtet ist[6]. Die mit der Aufhebung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags verbundene Vereinbarung einer Entschädigung als Ersatz für die vor der vereinbarten Vertragsdauer wegfallende Verlustübernahmeverpflichtung bzw. zur Sicherung der eigenständigen Lebensfähigkeit der Untergesellschaft betrifft deren Organisationsstruktur und hat deshalb körperschaftsrechtlichen und nicht lediglich individualrechtlichen Charakter. Der Umstand, dass die Untergesellschaft ihren Verlustausgleichsanspruch verliert, ist prägend für die Einordnung eines Aufhebungsvertrags als nicht lediglich schuldrechtliche Vereinbarung[7]. Zudem spricht für die Einordnung der Vereinbarung einer Entschädigung für den Wegfall des Verlustausgleichsanspruchs und zur Sicherung der Überlebensfähigkeit der Untergesellschaft als körperschaftsrechtlich, dass ein solcher Anspruch Bedeutung für gegenwärtige und künftige Gesellschafter sowie Gläubiger der Gesellschaft hat[8].

 

Bundesgerichtshof, Urteil vom 18. Januar 2022 – II ZR 71/20

  1. vgl. BGH, Urteil vom 05.04.1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122, 211, 219 f. unter Verweis auf BGH, Urteil vom 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 366; OLG München, DNotZ 2009, 474, 475; Passarge, BB 2006, 2769, 2770; Paschos in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl., § 291 AktG Rn. 7; BeckOGK AktG/Veil/Walla, Stand: 1.09.2021, § 291 Rn. 39; Hüffer/Koch, AktG, 15. Aufl., § 291 Rn. 17; Heidel/Peres, AktG, 5. Aufl., § 291 Rn. 14; MünchKomm-AktG/Altmeppen, 5. Aufl., § 291 Rn. 33 f.; Mülbert in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 291 Rn. 40; kritisch Grunewald, ZGR 2009, 647, 650 ff.[]
  2. vgl. OLG München, DNotZ 2009, 474, 475; Mülbert in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 291 Rn. 41; zur Auslegung von Satzungsbestimmungen: BGH, Urteil vom 25.09.1989 – II ZR 304/88, NJW-RR 1990, 99 f.; Urteil vom 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 366; Urteil vom 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347, 350; Urteil vom 19.07.2004 – II ZR 65/03, BGHZ 160, 127, 131; Beschluss vom 26.11.2007 – II ZR 227/06, NZG 2008, 309 Rn. 2[]
  3. vgl. zur Satzung: BGH, Urteil vom 09.06.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 36 f.; Urteil vom 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 364; Urteil vom 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347, 350 f.; Urteil vom 08.02.2010 – II ZR 94/08, BGHZ 184, 239 Rn. 27 Redezeitbeschränkung; Urteil vom 27.09.2011 – II ZR 279/09, ZIP 2011, 2357 Rn. 8; zum Satzungsänderungsbeschluss: BGH, Urteil vom 13.10.1966 – II ZR 56/64, BeckRS 1966, 31173483[]
  4. BGH, Urteil vom 16.07.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223, 13 Rn. 17 mwN[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 31.05.2011 – II ZR 109/10, BGHZ 190, 45 Rn.19; OLG Jena, NZG 2021, 1025, 1026; RNotZ 2021, 539 Rn. 17[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 16.09.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 346; Urteil vom 07.10.2014 – II ZR 361/13, BGHZ 202, 317 Rn. 13; BAGE 131, 50 Rn. 32[]
  7. BGH, Urteil vom 31.05.2011 – II ZR 109/10, BGHZ 190, 45 Rn.19[]
  8. vgl. BGH, Urteil vom 09.06.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 36 f.; Urteil vom 29.03.1973 – II ZR 139/70, NJW 1973, 1039, 1040; Urteil vom 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 364; Urteil vom 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347, 350[]