Für die Lieferortbestimmung nach § 3 Abs. 6 UStG muss der Abnehmer bereits bei Beginn der Versendung feststehen. Eine Versendungslieferung kann dann auch vorliegen, wenn der Liefergegenstand nach dem Beginn der Versendung für kurze Zeit in einem Auslieferungslager gelagert wird.

Der Ort der unstreitig ausgeführten Lieferungen bestimmt sich nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG, wenn die Person des Abnehmers bereits bei Beginn der Versendung feststeht.
Die Ortsbestimmung als Versendungslieferung nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG setzt voraus, dass der Abnehmer bereits bei Beginn der Versendung feststeht. Unter dieser Bedingung kann eine Versendungslieferung auch dann vorliegen, wenn der Liefergegenstand nach dem Beginn der Versendung für kurze Zeit in einem Auslieferungslager gelagert wird.
Wird der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen vom Lieferer oder vom Abnehmer beauftragten Dritten befördert oder versendet, gilt die Lieferung gemäß § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt. Diese Vorschrift beruht unionsrechtlich auf Art. 32 MwStSystRL (bis einschließlich 2006: Art. 8 Abs. 1 Buchst. a Richtlinie 77/388/EWG)F. Wird der Gegenstand vom Lieferer; vom Erwerber oder von einer dritten Person versandt oder befördert, gilt danach als Ort der Lieferung der Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befindet.
§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG setzt eine Versendung an den Abnehmer voraus. Dieser muss im Zeitpunkt der Versendung nach Maßgabe des der Lieferung zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses, aus dem sich die Person des Abnehmers ergibt[1], feststehen. § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG erfordert in Übereinstimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben (Art. 32 MwStSystRL und zuvor Art. 8 Abs. 1 Buchst. a Richtlinie 77/388/EWG), dass „der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen vom Lieferer oder vom Abnehmer beauftragten Dritten befördert oder versendet wird“. Wie sich aus der Rechtsfolgenanordnung der Vorschrift ergibt, muss „die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer“ erfolgen, der somit bereits beim Beginn der Versendung feststehen muss. Auch dies stimmt mit Art. 32 MwStSystRL überein. Danach befindet sich der Lieferort an dem „Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befindet“.
Kommt es für § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG auf die Versendung an einen bei ihrem Beginn bereits feststehenden Abnehmer an, setzt die Vorschrift auch voraus, dass die Versendung zu einem Gelangen des Liefergegenstandes an den Abnehmer führt. Die Versendung darf daher nicht abgebrochen werden. Dazu reicht eine nur kurzzeitige Lagerung nach dem Beginn der Versendung nicht aus.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gilt eine Lieferung auch dann gemäß § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG als bei Beginn der Versendung ausgeführt, wenn die Ware von dem mit der Versendung Beauftragten zunächst in ein inländisches Lager gebracht und erst nach Eingang der Zahlung durch eine Freigabeerklärung des Lieferanten an den Erwerber herausgegeben wird[2]. Der BFH hat dies insbesondere damit begründet, dass § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG auch anzuwenden ist, wenn es dem Lieferer nach Beginn der Beförderung oder Versendung noch möglich ist, über den Gegenstand der Lieferung neu zu disponieren und den Gegenstand wie im Fall einer sog. Umkartierung an einen anderen Abnehmer zu liefern[3]. Damit kommt es für die Anwendung dieser Vorschrift nicht darauf an, dass die Verfügungsmacht bereits mit dem Beginn der Versendung auf den Abnehmer übergeht, zumal sich der Lieferort dann nach § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG (Art. 31 MwStSystRL) bestimmt und die gesonderte Regelung zur Versendungslieferung gemäß § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG überflüssig wäre.
Dementsprechend ist die Einlagerung in ein Auslieferungslager nach dem Beginn der Versendung an den Abnehmer für die Anwendung von § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG ohne Bedeutung. Dabei , steht der Umstand, dass die für einen von vornherein feststehenden Abnehmer bestimmten Waren noch für einen kurzen Zeitraum in einem auf Initiative des Abnehmers eingerichteten Lager zwischengelagert werden, zumindest unter Berücksichtigung eines dem Abnehmer vertraglich eingeräumten uneingeschränkten Zugriffsrechts der Annahme einer Versendung an den Abnehmer nicht entgegen.
Eine Einlagerung für den beim Beginn der Versendung bereits feststehenden Abnehmer ‑wie im Streitfall- nur für kurze Zeit, um den produktionsbedingt beim Abnehmer für die nächsten Tage und Wochen benötigten Warenbedarf zu decken, unterbricht noch nicht die im Streitfall in Spanien begonnenen Versendungen.
Dies stimmt mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union überein. Der EuGH stellt für eine Versendungs- oder Beförderungslieferung, die zu einer innergemeinschaftlichen Lieferung und einem korrespondierenden innergemeinschaftlichen Erwerb führt, darauf ab, „ob ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Lieferung des in Rede stehenden Gegenstands und seiner Beförderung sowie ein kontinuierlicher Ablauf des Vorgangs gegeben sind“[4]. Der danach erforderliche zeitliche und sachliche Zusammenhang als kontinuierlicher Ablauf wird durch eine von vornherein nur vorübergehende Einlagerung auf kurze Zeit wie im Streitfall nicht beeinträchtigt.
Soweit die Finanzverwaltung demgegenüber in Abschn. 1a.2 Abs. 6 Satz 1 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses[5] davon ausgeht, dass anstelle einer entgeltlichen Lieferung aus dem Bestimmungsmitgliedstaat in das Inland eine nicht nur vorübergehende Verwendung und damit ein innergemeinschaftliches Verbringen i.S. von § 1a Abs. 2 UStG auch dann vorliege, wenn der Unternehmer den Gegenstand mit der konkreten Absicht in den Bestimmungsmitgliedstaat verbringt, ihn dort (unverändert) weiterzuliefern (z.B. Verbringen in ein Auslieferungs- oder Konsignationslager), schließt sich der Bundesfinanzhof dem aus den vorstehend dargelegten Gründen nicht an.
Danach kann das Finanzamt nicht mit Erfolg geltend machen, dass es für § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG erforderlich ist, dass der Abnehmer bereits mit der Einlagerung die Verfügungsmacht i.S. von § 3 Abs. 1 UStG erhält. Dies ist bereits deshalb unzutreffend, da es sich dann bei § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG um eine neben § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG überflüssige Regelung handeln würde.
Auch das Vorbringen der Lieferantin, mit dem sie geltend macht, dass die Person des Abnehmers nicht bereits bei Beginn der Versendung feststehen müsse, greift nicht durch. Die Versendungslieferung erfordert bereits nach dem Wortlaut von § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG und Art. 32 MwStSystRL eine Versendung an einen Abnehmer. Die im Zeitpunkt der Versendung nur wahrscheinliche Begründung einer Abnehmerstellung ist einer tatsächlichen Abnehmerstellung nicht gleichzustellen. Ansonsten drohen Beurteilungsschwierigkeiten im Hinblick auf den Grad einer dann erforderlichen Wahrscheinlichkeitsprüfung. Derartige Nachteile lassen sich nicht durch einen im Schrifttum angenommenen Vereinfachungszweck[6] ausgleichen. Ob es bei Beginn der Versendung an einem feststehenden Abnehmer fehlt, da eine unaufgeforderte Warenzusendung im Rahmen eines zu diesem Zeitpunkt lediglich vom Versender einseitig beabsichtigten Kaufs auf Probe vorliegt[7], oder ob der Abnehmer wie im Streitfall aus anderen Gründen bei Beginn der Versendung noch nicht verbindlich feststeht, ist ohne Bedeutung.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 20. Oktober 2016 – V R 31/15
- BFH, Urteil vom 25.04.2013 – V R 28/11, BFHE 242, 77, BStBl II 2013, 656, unter II. 2.c aa[↩]
- BFH, Urteil vom 30.07.2008 – XI R 67/07, BFHE 222, 138, BStBl II 2009, 552, Leitsätze 1 und 2[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 222, 138, BStBl II 2009, 552, unter II. 1.b[↩]
- EuGH, Urteil – X vom 18.11.2010 – C‑84/09, EU:C:2010:693, Rz 33[↩]
- ebenso OFD Frankfurt a.M., Schreiben vom 15.12 2015, UR 2016, 454[↩]
- Frye, UR 2013, 889 ff., und Stadie, in Rau/Dürrwächter, UStG, § 1a Rz 63 ff.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 06.12 2007 – V R 24/05, BFHE 219, 476, BStBl II 2009, 490[↩]